Sommer, Sonne, Strand und Meer – die Urlaubszeit ist für viele Menschen die schönste Zeit des Jahres. Doch Familien mit einem autistischen Kind stehen vor besonderen Herausforderungen. Während sich die meisten Reisenden auf neue Eindrücke freuen, möchten Familien mit autistischen Kindern ihre gewohnten Routinen möglichst beibehalten. Einen Familienurlaub aus diesem Grund ausfallen zu lassen, muss jedoch nicht sein.

Im Folgenden finden Sie die größten Herausforderungen, denen sich Familien mit autistischen Kindern stellen müssen, sowie hilfreiche Tipps, um das Reisen zu erleichtern. Erfahren Sie, wie Sie beispielsweise den Flug stressfreier gestalten können, was am Urlaubsort zu beachten ist und wie Sie sich optimal auf die Reise vorbereiten.

Reisen mit Autismus: Vorkehrungen am Flughafen

Erste Fortschritte bei der Berücksichtigung autistischer Bedürfnisse im Tourismus

Obwohl die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Autismus erst langsam erkannt und berücksichtigt werden, gibt es bereits einige vielversprechende Ansätze im Tourismus: So war der Flughafen Shannon in Irland beispielsweise der erste Flughafen in Europa, der einen sensorischen Raum für Menschen mit Autismus bereitstellte1, British Airways hat einen visuellen Leitfaden entwickelt, der Passagieren mit Autismus durch Bilder und Beschreibungen hilft, sich auf Flugreisen vorzubereiten2, und Royal Caribbean bietet priorisierten Check-In, spezielle Speisekarten, Schulung des Personals und autismusfreundliche TV-Programme an.3

Über den Wolken: Wie Flugreisen für autistische Kinder gelingen können

39 % der Deutschen verbrachten ihren Urlaub 2022 im Ausland – das Flugzeug war hierbei das drittbeliebteste Verkehrsmittel, um die Wunschdestination zu erreichen.4 Doch gerade Flugreisen stellen eine besondere Herausforderung für Eltern mit autistischen Kindern dar. Dinge, die viele Menschen als störend empfinden, können für ein autistisches Kind zur echten Belastung werden: lange Warteschlangen, Sicherheitschecks, Lärm und viele Menschen. Laut einer Studie der Haaga-Helia Universität in Finnland, beschrieben Mütter mit autistischem Kind, das Reisen selbst als herausforderndsten Teil eines Urlaubs. Lange Wartezeiten, wenig Ablenkungsmöglichkeiten, sowie Berührungen durch das Sicherheitspersonal, führten laut der Eltern häufig zu Überreizung und stressbedingten Überreaktionen der Kinder. Die Zeit am Flughafen, so die Mütter, benötige viel vorausschauende Planung, sowie Aufmerksamkeit. Möglichkeiten wie ein Priority-Check-In, Bücher und Videospiele zum Zeitvertreib oder geräuschunterdrückende Kopfhörer sind wichtige Hilfsmittel, um das Fliegen stressfreier zu gestalten. 5

Am Urlaubsort: Mangel an geschultem Personal

Sind die Hürden der Anreise erst einmal überwunden, kann der Urlaub losgehen – oder doch nicht? Am Urlaubsort angekommen, stehen Familien mit autistischen Kindern meist vor weiteren Herausforderungen. Oft fehlt es an qualifiziertem Fachpersonal, das im Umgang mit autistischen Kindern geschult ist. Eltern sind auf sich allein gestellt und müssen ständig wachsam sein – für eigene Erholung und Aktivitäten bleibt meist keine Zeit. Doch auch hier gibt es erste Schritte in die richtige Richtung: Einige Anbieter haben begonnen, Schulungen für ihr Personal anzubieten und spezifische Programme zu entwickeln, um autistischen Kindern und ihren Familien den Urlaubsaufenthalt angenehmer zu gestalten.1, 5, 6

Ein weiteres Problem bei Reisen: Autistische Kinder haben oft Schwierigkeiten, nachts durchzuschlafen. Diese Schlafprobleme können im Urlaub zunehmen, da sie durch die unbekannte Reise unter mehr Stress als gewöhnlich stehen.5 Erfahren Sie mehr über Schlafprobleme bei autistischen Kindern und wie Sie diese angehen.

Reisen: Warum der Aufwand sich lohnt

Angesichts der vielen Herausforderungen fragen sich viele Eltern sicherlich: Warum den ganzen Stress auf sich nehmen? Lucy, Mutter eines 19-jährigen autistischen Jungen, beschreibt in einer Studie, die 2017 im Annals of Tourism Research erschien, ihre Gründe für eine Reise mit autistischem Kind:6 „Wir machen eine Pause und holen [unser Kind] raus, weil er am liebsten in seinem kleinen Zimmer bleiben würde. Ja, es ist gut und die Vorteile überwiegen die Herausforderungen, weil wir etwas als Familie tun, was wichtig ist.“ Auch andere befragte Eltern erkannten neben dem Stress einer sorgfältigen Planung, die positiven Auswirkungen einer Reise an. Besonders die Möglichkeit, gemeinsame Erlebnisse zu haben und wertvolle Erinnerungen zu sammeln, nannten viele als Grund für ihre Entscheidung zugunsten einer Reise. „[Die Kinder] müssen sich an die Welt da draußen gewöhnen, also müssen sie rausgehen“, fasst es Lucy zusammen.6

Tipps für einen gelungenen Urlaub

Jedes autistische Kind und seine Familie haben individuelle Bedürfnisse, Vorstellungen und Sorgen, wenn es um den Urlaub geht. Dennoch gibt es einige Punkte, die man berücksichtigen kann, um trotz aller Herausforderungen schöne Momente zu erleben. In der Fachliteratur finden sich folgende hilfreiche Ratschläge:1, 5, 6

  • Sorgfältige Vorbereitung: Meiden Sie störende Situationen (Lärm, Warteschlangen, ungewohnte Lebensmittel, veränderte Schlafgewohnheiten) und beziehen Sie Ihr Kind in den Planungsprozess ein.

  • Visuelle Vorbereitung: Nutzen Sie Bilder, Flyer oder Videos vom Reiseziel, dem Hotel oder Strand, um das Kind an die neue Umgebung visuell zu gewöhnen.

  • Geräuschunterdrückende Kopfhörer: Diese können helfen, Lärm zu minimieren.

  • Priority-Check-In bei Flugreisen: Vermeiden Sie Wartezeiten und -schlangen und halten Sie Flugzeiten möglichst kurz.

  • Freizeitaktivitäten in der Nähe: Vermeiden Sie öffentliche Verkehrsmittel und wählen Sie Aktivitäten, die fußläufig erreichbar sind

  • Reisen in der Nebensaison: Umgehen Sie Massentourismus und wählen Sie ruhige Reiseziele.

  • Autismus-Faktenkarten: Diese können an Hotel- und Flugpersonal weitergegeben werden, um Verständnis zu schaffen und die individuellen Bedürfnisse des Kindes zu kommunizieren.

  • Vertraute Gegenstände einpacken: Halten Sie das Lieblingsspielzeug des Kindes griffbereit.

  • Mit Freunden oder Verwandten reisen: Schaffen Sie eine unterstützende Umgebung.

  • Offizielle Diagnose mitführen: So können Sie im Zweifelsfall die Diagnose Ihres Kindes belegen.

  • Elternzeit einplanen: Auch Eltern brauchen Erholung.

  • Erfahrungsaustausch: Teilen Sie Erfahrungen und geeignete Reiseziele mit anderen Betroffenen.

  • Medikamente: Sollte ihr Kind Medikamente benötigen, denken Sie daran genug von diesen mitzuführen. Beachten Sie hierbei die legalen Vorschriften des Ziellandes.

Geben Sie Ihrem Kind Zeit

Nach der Umsetzung dieser Tipps und der Ankunft am Reiseziel kann es für ein autistisches Kind eine Weile dauern, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Abweichendes Verhalten in dieser Phase ist nicht ungewöhnlich. Ebenso wichtig ist es, nach der Rückkehr aus dem Urlaub dem Kind zu erklären, dass die gewohnten Routinen wieder aufgenommen werden können. Geben Sie Ihrem Kind ausreichend Zeit, sich zu entspannen und die Eindrücke des Urlaubs zu verarbeiten.5

Mit guter Vorbereitung zu einem entspannten Urlaub

Ein Urlaub mit einem autistischen Kind erfordert zweifellos viel Planung und Vorbereitung. Die Entscheidung sollte daher individuell und sorgfältig abgewogen werden. Wenn Sie sich für einen gemeinsamen Urlaub entscheiden, können die Herausforderungen – von der Anreise über die Anpassung am Urlaubsort bis hin zur Rückkehr – mit den richtigen Tipps und Hilfsmitteln gut gemeistert werden. Mit sorgfältiger Planung können Sie gemeinsam wertvolle Erinnerungen schaffen.

Eine Sammlung an Linkempfehlungen zum Thema ‚Urlaub mit autistischem Kind‘ bietet wichtige Informationen, die die Reiseplanung erleichtern können:

Hilfreiche Links
Autismchecked.com (EN): autismusspezifische Hotels und Unterkünfte.
Brainwave.watch (EN): Die besten autismusfreundlichen Urlaubsziele in Europa.
Gloriapalaceth.com (EN): autismusfreudliche, zertifizierte Hotelkette.
autismtravel.com (EN): Zugang zu Reisezielen und Attraktionen in den USA, die in den Bereichen Autismus zertifiziert sind.
royalCaribbean.com (EN): Autismusfreundliche Maßnahmen der Schifffahrgesellschaft Royal Caribbean.
Autismus.de (DE): Informationen von autismus Deutschland e.V. zum Thema Urlaub und Freizeit.
Burg-Feuerstein.de (DE): Jugendhaus Burg Feuerstein – als autismusfreundlich ausgezeichnete Einrichtung.
  1. Conde, A.R., Caldeira, S., et al.: Inclusive tourism and children with a diagnosis of autism spectrum disorders: Systematic review of the literature. European Journal of Tourism Research. 2023; 35, 3502. https://doi.org/10.54055/ejtr.v35i.2806
  2. British Airways: British Airways Visual Guide
  3. RoyalCaribbean: AUTISM FRIENDLY SHIPS
  4. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 279 vom 17. Juli 2023
  5. Andersson, A., & Tuuri, J.: Travelling with an Asperger’s child. Bachelor’s Thesis DP in Tourism and Event Management. Haaga-Helia University of Applied Sciences. 2020.
  6. Sedgley, D., Pritchard, A. et al.: Tourism and Autism: Journeys of Mixed Emotions. Annals of Tourism Research. 2017; Vol 66, 14-25.