Was ist Autismus?
Autismus – eine besondere Art der Wahrnehmung
Grelle Lichter, laute Geräusche, starke Gerüche: Viele Menschen mit Autismus beschreiben ihre Umwelt als reizüberflutend. Es heißt, bei autistischen Menschen funktioniere der Filter, der viele Sinneseindrücke vor der bewussten Wahrnehmung zurückhält, nur eingeschränkt. Autistinnen und Autisten haben zum einen eine sensible Wahrnehmung und nehmen zum anderen besonders viele Reize wahr. Doch das sind nur einzelne Aspekte von Autismus – und sie gelten auch nicht für alle Autistinnen und Autisten in gleichem Ausmaß. Viel mehr zeigt sich Autismus in vielen verschiedenen Formen und Ausprägungen. Man spricht daher auch vom ‚Autismus-Spektrum‘.
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Was ist Autismus?
„Autisten sind lieber allein“, „Autisten sind Mathegenies“, „Autisten mögen keine Berührungen“ – es gibt viele pauschale Aussagen über Autismus, die die meisten Menschen wohl schon einmal gehört haben. In Wahrheit ist die Frage „Was ist Autismus?“ aber gar nicht leicht zu beantworten. Der Begriff selbst geht auf den schweizerischen Psychiater Eugen Bleuler zurück: Zu Beginn des letzten Jahrhunderts bezeichnete er die Eigenschaft der Zurückgezogenheit in das eigene Innere und den Mangel an sozialer Interaktion als ‚Autismus‘ (griechisch autos: ‚selbst‘).
In der heutigen Medizin verwendet man zur Beschreibung und Einordnung die ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), das Standardwerk der Weltgesundheitsorganisation für medizinische Diagnosen. Definiert wird Autismus dort als tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in der Kindheit beginnt und durch Abweichungen in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie durch ein eingeschränktes und sich wiederholendes Repertoire an Interessen und Aktivitäten gekennzeichnet ist.1
Das bedeutet: Autismus ist vielfältig und divers. Natürlich gibt es Autistinnen und Autisten, die gut rechnen können oder gern allein sind – doch genauso gibt es autistische Menschen, auf die das nicht zutrifft. Denn jeder Mensch im Autismus-Spektrum ist individuell. Was viele Autistinnen und Autisten trotz dieser Neurodiversität vereint, sind meist Probleme bei der Selektion und Verarbeitung von Sinneseindrücken, Schwierigkeiten beim Deuten von Gestik und Mimik anderer Menschen sowie Hürden, sich in bestimmte Gefüge der Mehrheitsgesellschaft einzugliedern.
Autismusformen: Entwicklung der Diagnostik
Das amtliche Klassifikationssystem ICD-10 unterscheidet drei Autismusformen: Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und Atypischer Autismus.1 Im Lauf der Zeit wurde das Klassifikationssystem aber überarbeitet: Am 1. Januar 2022 trat ICD-11 in Kraft. ICD-11 hebt die ursprüngliche Unterteilung auf und differenziert stattdessen in verschiedene Formen innerhalb der Autismus-Spektrum-Störung (ASS): mit oder ohne Störung der Intelligenzentwicklung bzw. mit oder ohne Beeinträchtigung der funktionellen Sprache. Die Einführung von ICD-11 ist ein langwieriger Prozess und dauert mehrere Jahre – so lange wird ICD-10 im deutschen Gesundheitswesen gültig bleiben.2, 3
Formen der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) in der ICD-10 und ICD-11.
Was sind die Ursachen einer ASS?
Zahlreiche Theorien und auch Falschinformationen kursieren über die Entstehung von Autismus-Spektrum-Störungen. Besonders populär sind z. B. die veralteten Annahmen, dass eine ASS auf einer gestörten Mutter-Kind-Bindung basiert oder die Folge bestimmter Impfungen im Kindesalter ist – diese Aussagen sind wissenschaftlich widerlegt. Die exakten Umstände, die zur Ausbildung einer Autismus-Spektrum-Störung führen, sind dennoch nicht vollständig geklärt – vermutlich gibt es verschiedene Ursachen. Unter anderem spielen die folgenden biologischen Aspekte eine Rolle:
Wichtig ist:
Eine Autismus-Spektrum-Störung wird nicht durch einen bestimmten Erziehungsstil der Eltern ausgelöst und hat auch nichts mit Unvermögen autistischer Menschen zu tun.