Symptome und Anzeichen

Autismus-Symptome: Früherkennung, Diagnose und Klassifikation

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind neurologische Entwicklungsstörungen mit vielfältigen Symptomen. Sie betreffen soziale Interaktion, Kommunikation sowie stereotype Verhaltensweisen.1 Bereits in der frühen Kindheit können diese Autismus-Symptome auftreten, doch nicht immer fallen sie sofort auf. Etwa 20–25 % der Kinder zeigen bis zum Alter von 24 Monaten keine Auffälligkeiten in sozialen oder kommunikativen Fähigkeiten, was die Diagnose und Therapie von Autismus erschweren kann.2

Die Symptome von Autismus und ihre Ausprägung verändern sich erheblich im Verlauf der Lebensphasen – von der Kindheit über die Pubertät bis hin zum Erwachsenenalter. Während im Kindesalter soziale Rückzüge auffallen, können Erwachsene mit ASS durch individuell erarbeitete Kompensationsstrategien autistische Symptome verdecken, was die Diagnostik weiter erschwert.1

Erfahren Sie, wie sich Autismus-Symptome in verschiedenen Lebensphasen äußern und welche Anzeichen bei Babys, Kindern und Erwachsenen besonders typisch sind.

Inhaltsverzeichnis // Lesedauer: ca. 4:45 min

Die Klassifikation nach ICD-10 und die Umstellung auf ICD-11

Nach der aktuell in Deutschland gültigen ICD-10 werden Autismus-Spektrum-Störungen wie folgt klassifiziert:1

  • Frühkindlicher Autismus: Symptome treten vor dem dritten Lebensjahr auf. Alle drei diagnostischen Kriterien – Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, Kommunikationsfähigkeit sowie sich wiederholende, stereotype Verhaltensweisen – müssen erfüllt sein.

  • Asperger-Syndrom: Betroffene zeigen Auffälligkeiten in sozialen Interaktionen und in der Kommunikation. Auch stereotypes Verhalten oder ausgeprägte Sozialinteressen sind zu beobachten – sprachliche und kognitive Fähigkeiten dagegen sind nicht eingeschränkt.

  • Atypischer Autismus: Anders als beim frühkindlichen Autismus treten die Symptome meist nach dem dritten Lebensjahr auf – besonders häufig auch in Verbindung mit einer starken Intelligenzminderung oder bei schweren Sprachentwicklungsstörungen auf.

  • Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörungen: Für Fälle, die nicht eindeutig zugeordnet werden können.

Mit der Einführung der ICD-11 im Jahr 2022 wurde diese Einteilung aufgehoben. ASS wird innerhalb der neuen ICD-11 Klassifizierung als einheitliches Spektrum betrachtet, mit Abstufungen basierend auf Sprach- und Intelligenzfähigkeiten.3 Allerdings ist die verpflichtende Anwendung der ICD-11 in Deutschland erst ab dem Jahr 2027 vorgesehen. Für die Übergangsfrist von fünf Jahren können sowohl die ICD-10 als auch die ICD-11 verwendet werden.4 In dieser Zeit bleibt die ICD-10 weiterhin das primäre Klassifikationssystem in der Praxis. Die Informationen zu den Symptomen und ihrer Diagnostik, die im Folgenden beschrieben werden, basieren daher auf der aktuell gültigen ICD-10. Sobald der ICD-11-Standard fest etabliert ist, werden wir die Inhalte auf dieser Seite entsprechend aktualisieren, um stets aktuelle Informationen bereitzustellen.

Frühkindlicher Autismus: Erste Symptome erkennen

Die ersten Hinweise auf Autismus Symptome bei Kindern erfolgen oft durch die Eltern. Diese bemerken ein geringes Interesse am sozialen Austausch, untypische Kommunikationsmuster oder ungewöhnliche Verhaltensweisen.5 Die frühzeitige Diagnose ist entscheidend für eine gezielte Förderung, bleibt jedoch herausfordernd – besonders, da es keine verlässlichen biologischen Marker gibt.1 Das bedeutet, dass es keine klaren körperlichen Anzeichen oder Laborwerte gibt, die Autismus zweifelsfrei nachweisen können. Stattdessen stützt sich die Diagnostik auf die Beobachtung des Verhaltens und der Entwicklung des Kindes.

Früherkennung in Deutschland: U-Untersuchungen und Unterstützungssysteme1

Deutschland verfügt über ein strukturiertes System zur Früherkennung von Entwicklungsauffälligkeiten. Eine zentrale Rolle spielen die U-Untersuchungen, bei denen Kinderärztinnen und Kinderärzte regelmäßig die Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern überprüfen. Bereits bei der U6 (10.–12. Monat) können Auffälligkeiten wie mangelnder Blickkontakt, fehlende Zeigegesten oder verzögertes Brabbeln festgestellt werden. Bei Entwicklungsauffälligkeiten erfolgt eine erneute Überprüfung im Alter von 16–18 Monaten.

Darüber hinaus bieten die „Frühen Hilfen“, ein Netzwerk aus medizinischen und sozialen Unterstützungsangeboten, Eltern von der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr Unterstützung an. Diese Angebote, die seit 2012 gesetzlich verankert sind, ermöglichen eine frühe Förderung und Beratung.
Die Schuleingangsuntersuchung, die bei allen Kindern im Alter von fünf bis sechs Jahren durchgeführt wird, stellt eine weitere Möglichkeit dar, Anzeichen für Autismus zu erkennen und betroffene Kinder an spezialisierte Zentren zu überweisen.

Trotz dieser Strukturen bleiben einige Fälle unerkannt, insbesondere bei Kindern, die durch Kompensationsstrategien Symptome verdecken. Eine Sensibilisierung von Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Fachärztinnen und -ärzte ist daher von besonderer Bedeutung. Weitere Tipps hierzu finden Sie unter Tipps für den Alltag.

Anzeichen für Autismus beim Baby: Symptome im ersten Lebensjahr1

Im ersten Lebensjahr sind spezifische Anzeichen oft subtil. Dennoch können Eltern und Kinderärzte folgende Auffälligkeiten beobachten:

  • Geringe Aufmerksamkeit für Gesichter und soziale Stimuli, verstärkte Fokussierung auf Objekte

  • Seltenes Brabbeln oder Nachahmen von Lauten

  • Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit von einem Objekt zu lösen

  • Fehlende Reaktion auf soziale Reize wie Blickkontakt oder Lächeln

  • Probleme bei der Kopfhaltung oder verspätetes Öffnen des Mundes bei der Nahrungsaufnahme

Autismus-Symptome bei Babys (12–18 Monate)1

Zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat zeigen sich oft klarere Anzeichen für Autismus:

  • Fehlender Blickkontakt und mangelnde Reaktion auf den eigenen Namen.

  • Keine Zeigegesten, um Interesse zu zeigen.

  • Seltenes Teilen von Freude oder Aufmerksamkeit mit anderen.

  • Rückschritt bereits erworbener Fähigkeiten, etwa in der Sprache oder sozialen Interaktion.

Manche Eltern berichten zudem, dass ihr Kind mit den Händen wedelt bei Freude, ein Verhalten, das ebenfalls als Merkmal bei Autismus angesehen werden kann. Schlafstörungen treten in diesem Alter häufig auf und können als begleitendes Symptom beobachtet werden.

Ein Symtom bei Autismus: Keine Zeigegesten, um Interesse zu zeigen.

Ein mögliches Symptom bei Autismus: Keine Zeigegesten, um Interesse zu zeigen.

Symptome im Kleinkindalter (18–24 Monate)1

Die Autismus-Symptome bei Kleinkindern werden im Alter von 18 bis 24 Monaten deutlicher:

  • Fehlendes „Als-ob“-Spiel, wie das Nachahmen von Alltagssituationen.

  • Geringer Blickkontakt und fehlendes Bringen von Gegenständen, um sie zu zeigen.

  • Verlust von Sprach- oder Sozialfähigkeiten.

  • Verminderte Reaktion auf Schmerzäußerungen anderer.

Wichtiger Hinweis für Eltern: Unabhängig vom Alter des Kindes sollten Eltern, die sich zunehmend Sorgen über die Entwicklung ihres Kindes machen, dies mit einer Kinderärztin oder einem Kinderarzt besprechen. In solchen Fällen sollte die Möglichkeit einer Autismus-Spektrum-Störung geprüft werden. Die Differenzialdiagnose kann helfen, Unsicherheiten zu klären und bei Bedarf eine frühzeitige Förderung einzuleiten.1

Asperger-Syndrom: Frühsymptome und Herausforderungen1

Das Asperger-Syndrom unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus durch normale Sprachentwicklung und kognitive Fähigkeiten. Typische Symptome umfassen:

  • Eingeschränkte soziale Kontakte und Veränderungsängste.

  • Stereotype Verhaltensweisen und ritualisierte Abläufe.

  • Eingeschränktes Fantasiespiel und sensorische Auffälligkeiten.

  • Zwanghafte oder wiederholende Handlungen.

Die ersten Hinweise auf diese Symptome werden oft im Nachhinein berichtet. Eltern geben an, dass sie vor dem dritten Lebensjahr ein untypisches Sozialverhalten oder begrenzte Interessen bemerkt haben.6

Autismus-Symptome bei Erwachsenen1

Die Erkennung von Autismus Symptomen bei Erwachsenen stellt eine besondere Herausforderung dar, insbesondere wenn die Diagnose nicht bereits im Kindesalter gestellt wurde. Häufig suchen Betroffene professionelle Unterstützung nicht wegen eines vermuteten Autismus, sondern aufgrund anderer medizinischer oder psychischer Probleme. Begleitende Störungen, sogenannte Komorbiditäten, wie Depressionen, Schizophrenie oder spezifische Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, treten häufig in Verbindung mit Autismus auf und können die Diagnosestellung zusätzlich erschweren.

Autismus bei erwachsenen Männern und Frauen: Schlüsselsymptome1

Die Diagnose von ASS bei Erwachsenen basiert auf der Beobachtung spezifischer Schlüsselsymptome. Liegen diese vor, sollten weitere diagnostische Schritte in Erwägung gezogen werden:

  • Überdauernde Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion: Probleme, sich auf soziale Situationen einzulassen oder sie angemessen zu gestalten.

  • Überdauernde Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation: Einschränkungen im Verstehen und Verwenden von Sprache, Gestik oder Mimik im sozialen Kontext.

  • Stereotype (rigide und repetitive) Verhaltensweisen: Widerstand gegen Veränderungen in Routinen, Ernährung oder der Umgebung sowie eingeschränkte, stark fokussierte Interessen.

Weitere diagnostische Hinweise1

Zusätzlich zu den genannten Schlüsselsymptomen können bestimmte biografische Faktoren auf eine ASS hindeuten, darunter:

  • Schwierigkeiten im beruflichen oder schulischen Kontext: Probleme beim Einstieg in eine Berufstätigkeit oder bei der langfristigen Aufrechterhaltung einer Ausbildung oder Arbeit.

  • Herausforderungen im Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen: Schwierigkeiten, Freundschaften, Partnerschaften oder andere zwischenmenschliche Beziehungen zu initiieren oder aufrechtzuerhalten.

  • Vergangene oder aktuelle Kontakte mit psychiatrischen Institutionen: Erfahrungen mit Hilfssystemen für Menschen mit Behinderungen oder psychiatrische Behandlungen können ebenfalls ein Hinweis sein.

Autismus-Symptome bei Frauen – lange vernachlässigt

Autismus bei Frauen äußert sich häufig anders als bei Männern, was dazu geführt hat, dass ihre Symptome lange übersehen oder falsch interpretiert wurden. Diagnose-Tools wie ADOS und ADI-R basieren überwiegend auf männlichen Probanden,9 wodurch Frauen oft nicht als autistisch erkannt werden.10 Trotz steigender Diagnosen bleibt das Verhältnis von Jungen zu Mädchen unverändert – ein Hinweis auf eine systematische Lücke in der Diagnostik.9

Der Einfluss von Lebensumständen und Entwicklung

Autismus-Symptome sind nicht nur individuell verschieden, sondern werden auch durch äußere und persönliche Faktoren beeinflusst. Während die zuvor beschriebenen Symptome einen Einblick in die Vielfalt der Erscheinungsformen von ASS geben, ist es wichtig zu verstehen, dass diese Merkmale nicht isoliert betrachtet werden können.

Die Ausprägung und der Verlauf der Symptome hängen maßgeblich von verschiedenen Lebensumständen und Entwicklungsfaktoren ab:1

  • Geschlecht, sozioökonomischer Status und elterliches Bildungsniveau können möglicherweise die Möglichkeiten zur frühzeitigen Diagnose und Förderung beeinflussen.

  • Individuelle kognitive Fähigkeiten spielen eine zentrale Rolle: Kinder mit höherem IQ entwickeln oft bessere Kompensationsstrategien, die Symptome kaschieren können, aber auch die Diagnostik erschweren.

  • Demografische Unterschiede, wie kulturelle und regionale Faktoren, könnten ebenfalls eine Rolle spielen, sind jedoch bislang nicht ausreichend erforscht.

Bisher gibt es keine klaren Aussagen darüber, wie diese Faktoren den Verlauf von Autismus-Spektrum-Störungen tatsächlich beeinflussen. Viele dieser Zusammenhänge wurden noch nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht.1

Menschen mit ASS und Intelligenzminderung weisen in der Regel ein stabiles Symptom-Muster auf und benötigen häufig lebenslange Unterstützung. Im Gegensatz dazu können Betroffene ohne Intelligenzminderung teilweise ein selbstständiges Leben führen, sind jedoch oft weiterhin auf soziale und emotionale Unterstützung angewiesen.7, 8

Diese Unsicherheiten verdeutlichen, dass ASS nicht nur als medizinisches, sondern auch als soziales und individuelles Thema betrachtet werden muss. Ein besseres Verständnis der Einflüsse auf den Verlauf von ASS ist entscheidend, um die Lebensqualität der Betroffenen gezielt zu fördern und passende Unterstützungsangebote zu entwickeln.

Fazit: Frühzeitige Diagnose für gezielte Förderung

Die frühzeitige Erkennung von Anzeichen für Autismus ist essenziell, um betroffene Kinder und Erwachsene optimal zu unterstützen. Regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen wie die U-Untersuchungen bieten bei Kindern eine wichtige Chance, Autismus-Symptome frühzeitig zu identifizieren. Bei Erwachsenen hingegen können die gezielte Beobachtung von Schlüsselsymptomen und eine diagnostische Abklärung entscheidend sein, um passende Unterstützung und Hilfsangebote bereitzustellen. Die richtige Diagnose und Förderung können den Verlauf erheblich beeinflussen und die Lebensqualität der Betroffenen sowie ihrer Familien verbessern.

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP): S3 Leitlinie Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter – Teil 1: Diagnostik. 2016
  2. Ozonoff, Sally; Iosif, Ana-Maria; Young, Gregory S.; Hepburn, Susan; Thompson, Meagan; Colombi, Costanza et al.: Onset Patterns in Autism: Correspondence Between Home Video and Parent Report. In: Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry 50 (8), S. 796–806.e1. DOI: 1016/j.jaac.2011.03.012.
  3. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung
  4. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte:  Revision der ICD der WHO (ICD-11)
  5. Howlin, P; Asgharian, A (1999): The diagnosis of autism and Asperger syndrome: findings from a survey of 770 families. In: Dev Med Child Neurol 41 (12), S. 834–839.
  6. Kamp-Becker, Inge; Smidt, Judith; Ghahreman, Mardjan; Heinzel-Gutenbrunner, Monika; Becker, Katja; Remschmidt, Helmut (2010a): Categorical and Dimensional Structure of Autism Spectrum Disorders: The Nosologic Validity of Asperger Syndrome. In: J Autism Dev Disord 40 (8), S. 921–929. DOI: 10.1007/s10803- 010-0939-5.
  7. Howlin, Patricia; Goode, Susan; Hutton, Jane; Rutter, Michael (2004): Adult outcome for children with autism. In: J Child Psychol & Psychiat 45 (2), S. 212–229. DOI: 10.1111/j.1469-7610.2004.00215.x.
  8. Howlin, Patricia; Mawhood, Lynn; Rutter, Michael (2000): Autism and Developmental Receptive Language Disorder—a Follow-up Comparison in Early Adult Life. II: Social, Behavioural, and Psychiatric Outcomes. In: J Child Psychol & Psychiat 41 (5), S. 561–578. DOI: 10.1111/1469-7610.00643.
  9. Wu Nordahl, Christine (2023): Why do we need sex-balanced studies of autism? Autism Res. 2023;16(9):1662-1669. doi: 1002/aur.2971
  10. D’Mello, Anila M.; Isabelle R. Frosch; Cindy E. Li; Annie L. Cardinaux; John D.E. Gabrieli (2022): Exclusion of females in autism research: Empirical evidence for a “leaky” recruitment-to-research pipeline. Autism Res. 2022;15(10):1929-1940. doi: 1002/aur.2795

Weiterführende Informationen

Hilfe bei Schlafproblemen

Allgemeine Informationen zu Autismus

Zuletzt aktualisiert am 02.12.2024