Eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zu diagnostizieren kann ein langwieriger Prozess sein – insbesondere, wenn die Symptome eher schwach ausgeprägt sind. Dabei ist es wichtig, die Diagnose möglichst früh zu stellen, damit Kinder mit ASS rechtzeitig die richtige Förderung und Unterstützung bekommen.
In den letzten Jahren erschienen einige wissenschaftliche Studien mit dem Ziel, die Autismus-Diagnostik mit der Unterstützung von Künstlicher Intelligenz (KI) zu verbessern. Die lernfähigen Algorithmen sollen dabei helfen, autistische Merkmale bei Kindern früh zu erkennen. Im Folgenden stellen wir drei vielversprechende Ansätze zur Diagnose von Autismus mit KI vor.
1. Methode: Bilder sollen genügen
Menschen mit Autismus haben oftmals charakteristische strukturelle Merkmale in den Augen, beispielsweise einen vergrößerten Durchmesser des Sehnervenkopfes in der Netzhaut. Diese Besonderheiten können auf hochauflösenden Fotografien der Netzhaut abgebildet und mit einer speziell darauf trainierten Künstlichen Intelligenz entdeckt werden.1
Forschende aus Südkorea untersuchten in einer Studie mit Künstlicher Intelligenz die Netzhautfotografien von fast 500 Kindern und Jugendlichen mit Autismus. Die Software lag beim Identifizieren der Entwicklungsstörung in allen Fällen richtig, bedingt konnten sogar Aussagen über die Schwere von Autismus-Symptomen getroffen werden. Die jüngsten Kinder, die untersucht wurden, waren vier Jahre alt – ob das verwendete Modell auch bei jüngeren Kindern funktioniert, muss noch untersucht werden.2
2. Methode: Blicke verraten mehr
Auch bei diesem Ansatz werden die Augen untersucht, allerdings nicht Fotografien der Netzhaut, sondern die Bewegung der Blicke. Denn Menschen mit Autismus nehmen unter anderem soziale Interaktionen und Gesichter anders wahr.3 So gilt es z. B. als Anzeichen einer Autismus-Spektrum-Störung, wenn Kinder mit ihren Bezugspersonen keinen Blickkontakt aufnehmen oder halten.
Viele Studien zeigten bereits, dass die Blicke von Menschen mit und ohne Autismus einem differenzierbaren Muster folgen. Künstliche Intelligenz, die entsprechend trainiert wird, kann diese Blickmuster erkennen: In Studien mit Vorschulkindern erreichten intelligente Algorithmen insgesamt eine Genauigkeit von fast 90 Prozent bei der Erkennung von Autismus.3
3. Methode: Spielend zur Autismus-Diagnose
Außer dem Blickmuster zeigt auch das Bewegungsmuster vieler Autistinnen und Autisten bestimmte charakteristische Eigenschaften, die messbar gemacht werden können – etwa die Körperhaltung, die Gestik, sich wiederholende Verhaltensweisen oder auch die Kopfbewegung als Reaktion auf äußerliche Reize.4
Künstliche Intelligenz, die auf die Erkennung dieser Muster trainiert ist, kann Autismus in vielen Fällen richtig diagnostizieren. Ein Forschungsteam aus der Schweiz erzielte mit der KI-basierten Analyse von Videoaufnahmen spielender autistischer Kinder so eine Genauigkeit von über 80 Prozent. Der Wert hing hierbei auch mit der Länge der Videos zusammen: Bereits mit zehnminütigen Aufnahmen konnte eine Genauigkeit von ca. 70 Prozent erreicht werden.4
Ein Vorteil dieser Methode ist, dass die Kinder bei der Untersuchung spielen können und kaum beeinflusst werden und dass die notwendige Technik leicht verfügbar ist. Denkbar wäre zukünftig z. B. sogar die Auswertung von Videoaufnahmen, die Eltern von möglicherweise autistischen Kindern mit dem Smartphone selbst aufzeichnen.
Weitere Forschung ist notwendig
Auch wenn die meisten Studienergebnisse vielversprechend sind, so betonen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass in den meisten Bereichen noch intensiver geforscht werden muss. Z. B. funktioniert die KI-basierte Diagnose von Autismus mit Netzhautfotografien bei Mädchen derzeit noch nicht so zuverlässig wie bei Jungen – weiblicher Autismus könnte mit dieser Methode derzeit noch eher übersehen werden.1
Es gibt weitere Forschungsansätze mit Künstlicher Intelligenz, um Autismus bei Kindern so früh wie möglich zu diagnostizieren, z. B. die Untersuchung von Verbindungen im Gehirn mit MRT-Scans oder die Analyse bestimmter Gene aus Blutproben.5, 6 Mit großer Wahrscheinlichkeit werden intelligente, selbstlernende Algorithmen die Autismus-Diagnostik in den kommenden Jahren schneller und genauer machen und Fachleuten wie auch Eltern eine große Hilfe sein.
Sind Sie neugierig auf weitere wissenschaftliche Themen rund um Autismus? Noch mehr spannende Forschungsarbeiten zu Autismus-Spektrum-Störungen finden Sie auf unseren Studien-Seiten.